Bibel im Koran
Gemäß der Lehrmeinung vieler Muslime von heute wurden die dem Koran vorangegangenen Schriften geändert und durch den Koran ersetzt.
Es gibt im Koran prinzipiell zwei Kritikpunkte: Einerseits, dass Schriften „erfunden“ wurden: „Aber wehe jenen, welche die Schrift selbst schreiben…“ (II 79 ff.), wofür es zahlreiche Beispiele gibt, wie „Evangelien“ nach Thomas, Barnabas oder sogar Judas, aber auch zahlreiche hebräische Schriften, die nicht Teil der hebräischen Bibel sind. Doch betrifft dies nicht die Schriften, welche von Juden bezüglich der hebräischen Bibel und von Christen bezüglich der Evangelien anerkannt wurden. Gerade diese werden, wie ich gleich zu zeigen versuche, durch den Koran bestätigt.
Andererseits sagt der Koran bezüglich der vorangegangenen Offenbarungen, dass der Sinn der Wörter entstellt wurde (vgl. IV 46; V 13; V 41), oder mit den Zungen verdreht wurde (vgl. III 78). Dies bedeutet aber nicht, dass die Wörter an sich entstellt wurden. Juden, Christen und Muslime kennen dieses Problem vielleicht aus Gesprächen zwischen den unterschiedlichen Lagern innerhalb der eigenen Religion. Zum Beispiel zwischen liberalen und orthodoxen Juden oder zwischen evangelischen und katholischen Christen oder zwischen schiitischen und sunnitischen Muslimen. Jeder ist der Überzeugung, der andere verstehe etwas falsch, er entstelle den Sinn der Schrift. Der Koran wirft den Menschen also vor, dass sie den Sinn der Schriften entstellen, doch keineswegs, dass die Schriften an sich geändert wurden.
Im Gegenteil, der Koran selbst, das ist meines Erachtens entscheidend, versichert: „Wahrlich, Wir sandten die Ermahnung herab, und Wir wollen fürwahr ihr Bewahrer sein.“ (XV 9) Mit diesem Vers begründen Muslime, weshalb der Koran das unverfälschte Wort GOTTES ist. Doch wird bis heute in der Regel übersehen, dass hier nicht vom Koran gesprochen wird, dessen Erhaltung GOTT garantiert, sondern von der Ermahnung.
Erweitert wird der Begriff der „Ermahnung“ an anderer Stelle um den Begriff der „Rechtleitung“: „Er sprach: ‚Geht von hier allesamt hinunter, jeder sei des anderen Feind! Doch wenn dann Meine Rechtleitung zu euch kommt: Wer dann Meiner Leitung folgt, der soll weder irregehen noch unglücklich sein. Wer aber Meine Ermahnung nicht annimmt, dem ist ein kümmerliches Leben beschieden. Und am Tage der Auferstehung werden Wir ihn blind vorführen.‘“ (XX 123–124)
Die „Rechtleitung“ ist also ein Synonym für die „Ermahnung“, deren Erhaltung GOTT garantiert (vgl. XV 9). Der Koran bezeichnet aber nicht nur sich selbst als Ermahnung und Rechtleitung, sondern ebenso die Tora und das Evangelium.
„Und Wir gaben bereits Moses und Aaron die Richtschnur zur Unterscheidung des Richtigen vom Falschen und ein Licht und eine Ermahnung für die GOTTES-Fürchtigen, welche ihren HERRN im Verborgenen fürchten und vor der Stunde bangen. Und auch dies ist eine gesegnete Ermahnung, die Wir hinabgesandt haben. Wollt ihr sie etwa verwerfen?“ (XXI 48–50)
„Und in ihren Spuren [der Propheten] ließen Wir Jesus folgen, den Sohn der Maria, um die Tora, die vor ihm war, zu bekräftigen. Und Wir gaben ihm das Evangelium mit einer Rechtleitung und einem Licht, die Tora, die vor ihm war, bestätigend als eine Rechtleitung und Ermahnung für die GOTTES-Fürchtigen.“ (V 46)
„Und Wir schrieben für ihn [Moses] auf die Tafeln eine Ermahnung und Erklärung für alle Dinge. ‚So halte daran mit aller Kraft fest. Und befiehl deinem Volke, am Besten daran festzuhalten.‘“ (VII 145)
„Er hat auf dich das Buch in Wahrheit herabgesandt, bestätigend, was ihm vorausging. Und Er sandte hinab die Tora und das Evangelium – (schon) zuvor – als eine Rechtleitung für die Menschen […]“ (III 3–4)
„Siehe, Wir haben die Tora hinabgesandt, in der sich eine Rechtleitung und ein Licht befinden, […]“ (V 44)
Außerdem bezeichnet GOTT nicht nur Muslime, sondern auch Juden und Christen als „Volk der Ermahnung“ (vgl. XXI 7).
Der Koran sagt darüber hinaus: „Trag vor, was dir von dem Buch deines HERRN geoffenbart wurde, dessen Wort niemand verändert.“ (XVIII 27) An dieser Stelle befindet sich eine weitere wichtige Bestätigung nicht nur des Korans, sondern auch der Tora und des Evangeliums, als unverfälschtes Wort GOTTES. Denn als „das Buch“ – „dessen Wort niemand verändert“ – bezeichnet der Koran nicht nur sich selbst, sondern auch die Tora und das Evangelium.
„Sprich: Wer hat das Buch hinabgesandt, das Moses als ein Licht und eine Leitung für die Menschen brachte, und das ihr wie (bloßes) Papier behandelt, […]?“ (VI 91)
„Und Er wird ihn [Jesus] das Buch und die Weisheit und die Tora und das Evangelium lehren.“ (III 48)
„Und dieses Buch [der Koran], das Wir hinabsandten, ist gesegnet; es bestätigt das Frühere.“ (VI 92)
Der Koran „bestätigt das Frühere“. Eine Bestätigung des Vorangegangenen kann doch nur eine Bestätigung als unverfälschtes Wort GOTTES bedeuten. Warum sollte GOTT etwas, das Er nicht erhalten konnte oder das nicht mehr von Bedeutung sein sollte, bestätigen?
Der Koran sagt: „Und die Juden sprechen: ‚Die Christen fußen auf nichts!‘ Und die Christen sprechen: ‚Die Juden fußen auf nichts!‘. Und doch lesen sie die Schrift. Mit ähnlichen Worten sprachen (schon) diejenigen, die überhaupt kein Wissen besitzen.“ (II 113)
Dieser Vers möchte verdeutlichen, dass beide Schriften, die Tora und das Evangelium, als Wort GOTTES gelesen werden sollten.
Der Satz „…Und doch lesen sie die Schrift“ erscheint mir dabei besonders wichtig. So wird deutlich, dass es sich bei der „Schrift“ nicht, wie gerne von islamischen Gelehrten gesagt wird, um irgendeine andere oder heute nicht mehr auffindbare Schrift handelt, sondern um jene, welche Juden und Christen lesen. Bezüglich der Tora sind das die fünf Bücher Mose und bezüglich des Evangeliums die Evangelien nach Matthäus, Markus, Lukas und Johannes.
In Bezug auf die Tora beschwört der Koran diese sogar als Offenbarung schlechthin in der Sure, die nach dem Berg Sinai benannt ist, als „der Berg“: „Bei dem Berg! Bei dem Buch, geschrieben auf ausgerolltem Pergament! [die Tora] […] Wehe an diesem Tage all denen, welche die Wahrheit leugnen.“ (LII 1–12)
Die Tora wird in diesem Koranvers sogar genau in der Form beschrieben, in der sie Juden bis heute aufbewahren: „auf ausgerolltem Pergament“.
„Dann gaben Wir Moses die vollkommene Schrift, als eine Gnade für diejenigen, die Gutes tun und als eine Klarlegung aller Dinge und als Rechtleitung und Barmherzigkeit, damit sie an die Begegnung mit ihrem HERRN glauben.“ (VI 154) Hier bekommt die Tora ein ganz besonderes Attribut: „die vollkommene Schrift“.
Fazit: Prophet Muhammad hat die Notwendigkeit, allen Propheten und Schriften zu folgen, mit einer oft zitierten Aussage unterstrichen, er sei der letzte Stein in dem Haus, das die Propheten gebaut haben. „Das Gleichnis von mir und den Propheten vor mir ist wie das Gleichnis von einem Mann, der ein Haus baute, es gut ausstattete und schön herrichtete bis auf den Platz für einen Stein an einer Ecke. Die Leute begannen, darum herumzugehen, bewunderten es und fragten: ‚Warum wurde dieser Stein nicht eingefügt?‘ Ich bin der Stein und ich bin das Siegel der Propheten.“ (ALLAHS Gesandter hat gesagt …, S. 66 f.)
Der Koran beschreibt die momentane Lage sehr treffend: „‚Wahrlich, diese euere Gemeinschaft ist eine einzige Gemeinschaft, und Ich bin euer HERR, darum dient nur Mir.‘ Aber sie sind unter sich tief zerstritten. Alle jedoch werden zu Uns zurückkehren.“ (XXI 92–93)
„‚Und diese eure Gemeinschaft ist eine einzige Gemeinschaft, weil Ich euer aller HERR bin. So bleibt euch Meiner bewusst!‘ Aber sie wurden uneins und zerfielen in Sekten, und jede Partei erfreut sich dessen, was sie haben.“ (XXIII 52–53)
Ergänzend möcht ich noch aufführen, dass auch Jesus im Evangelium die Tora und die vorangegangenen Propheten als verbindliche Grundlage mit einbezieht. Jesus sagt:
„Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen um aufzuheben, sondern um zu erfüllen. Amen, das sage ich euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird auch nicht der kleinste Buchstabe des Gesetzes vergehen, bevor nicht alles geschehen ist. Wer auch nur eines von den kleinsten Geboten aufhebt und die Menschen entsprechend lehrt, der wird im Himmelreich der Kleinste sein. Wer sie aber hält und halten lehrt, der wird groß sein im Himmelreich. Darum sage ich euch: Wenn euere Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.“ (Mt 5,17–20)
Geschrieben in von Stephan Effenberger am 13. Mai 2020
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